Burnout ist keine Depression – oder doch?

 

Die Grenzen zwischen Burnout und Depression sind fließend, meint der Psychiater und Psychotherapeut Christian Simhandl

Nicht jeder Mensch, der mit seiner Arbeitssitutation unzufrieden ist, leidet an einem Burnout. Ein Gefühl des Ausgelaugtseins genügt nicht für eine Diagnose. Der Psychiater und Psychotherapeut Christian Simhandl im Gespräch mit Eva Tinsobin.

derStandard.at: Inwieweit sind Sie als Facharzt für Psychiatrie und Neurologie sowie Psychotherapeut mit dem Burnout-Syndrom konfrontiert?

Christian Simhandl: Die Zahl der Patienten, die sich wegen „Burnout“ melden, steigt ständig. Es kommt auch vor, dass sich Patienten an mich wenden, die schon einmal die Diagnose Burnout hatten und eine Psychotherapie gemacht haben, dann den Job oder den Partner gewechselt haben und sich nun fragen, wieso sie „schon wieder so etwas haben“. Dann gilt es abzuklären, ob es sich nicht um eine wiederkehrende Depression handelt, welche von der betroffenen Person als „Burnout“ empfunden wird.

derStandard.at: Wann spricht man von einem Burnout?

Christian Simhandl: Burnout wird in der Internationalen Klassifikation der Erkrankungen (ICD)  als „Ausgebranntsein“ und „Zustand der totalen Erschöpfung“ mit dem Diagnoseschlüssel Z73.0 erfasst: „Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“.

derStandard.at: Ähnelt diese Beschreibung des Burnout denen einer Depression? Sind Ihnen dazu statistische Daten bekannt?

Simhandl: Ich bin der Meinung, dass weite Teile der Depression als Burnout benannt werden. Nach der ICD-Einstufung ist Burnout eine Rahmen- oder Zusatzdiagnose und keine Behandlungsdiagnose, die zum Beispiel die Einweisung in ein Krankenhaus ermöglichen könnte. Daher gibt es auch keine Statistiken.

derStandard.at: Leiden immer mehr Menschen an Burnout? Oder wird es heute immer öfter diagnostiziert, weil es vor einigen Jahrzehnten noch nicht „erfunden“ war?

Simhandl: Vor einigen Jahrzehnten wurde auch die Depression nicht diagnostiziert. Der Begriff Burnout ist den Betroffenen oftmals um vieles verständlicher und drückt ihr Erleben aus. So suchen sie eher Hilfe beziehungsweise fühlen sich auch eher verstanden, wenn man von Burnout spricht und nicht von Depression.

derStandard.at: Ist die Depression eine „Volkskrankheit“?

Simhandl: Depression ist eine Volkskrankheit mit einer Häufigkeit von über zehn Prozent in der Allgemeinbevölkerung. Die Schnelllebigkeit unserer Zeit erhöht das Auftreten von depressiven Erkrankungen, nicht zuletzt deshalb, weil in allen Berufssparten die Anforderungen steigen.

derStandard.at: Wird ein Burnout zu schnell diagnostiziert, beziehungsweise besteht die Gefahr von Fehldiagnosen?

Simhandl: Manchmal werden die Ursachenzuteilung und die Beschreibung des Zustandes verwechselt. Burnout im engeren Sinne hat nur mit der Arbeitssituation zu tun. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird das nicht mehr unterschieden, und das Gefühl des Ausgelaugtseins genügt für die Diagnose. Aber nicht jeder Mensch, der mit seiner Situation am Arbeitsplatz unzufrieden ist, leidet an einem Burnout. Burnout kann bei lang andauernder Belastung, fehlender Erholung, und auch fehlendem Schlaf hervorgerufen werden.

derStandard.at: Das heißt, nicht nur Depressionen können als Burnout verkannt werden sondern ebenso die Unzufriedenheit im Job?

Simhandl: Unzufriedenheit ist Unzufriedenheit. Bei den Burnout-Untersuchungen eruierte man Veränderungen am Arbeitsplatz im Sinne einer Veränderung der Schwerpunkte in der Unternehmensführung und mehr Arbeit von weniger Personen. Am Beispiel von Banken: Menschen müssen Bankprodukte verkaufen, von denen sie mittlerweile wissen, dass sie nicht besonders krisensicher sind. Sie können nicht mehr dahinter stehen, der Betrieb verlangt es aber. Oder im Sozialbereich: es wird mehr dokumentiert und weniger mit den Menschen gesprochen. Oder sie überfordern sich selbst über einen längeren Zeitraum für eigene Karrierevorstellungen, die der Arbeitgeber aber nicht als solche sieht.

derStandard.at: Woran erkennen Sie den Unterschied zwischen Burnout und Depression?

Simhandl: Ich erkenne den Unterschied am Verlauf. Beim Burnout wird alles abgewertet, oft in Form von Zynismus, der bei einer Depression nicht vorkommt. Die Entwicklung gehrt üblicherweise über einen längeren Zeitraum mit ständiger beruflicher Belastung, die als Überbelastung mit vermehrtem Einsatz empfunden wird. Die Depression ist klar definiert, ich muss die richtigen Fragen stellen, etwa nach Vorerfahrungen in dieser Art: ob jemand in der Familie auch so eine Anfälligkeit gezeigt hat, wie die zeitliche Entwicklung der Beschwerden und der Schweregrades der Beschwerden war, ob jemand perfektionistisch oder ordnungsliebend ist. Eine wichtige Frage ist auch: Hat sich die Arbeit verändert, oder haben sie sich verändert?

derStandard.at: Ist überhaupt eine klare Abgrenzung zwischen Burnout und Depression möglich?

Simhandl: Am Beginn ja, in voller Ausprägung besteht aber kein Unterschied mehr zwischen einem Burnout und einer typisch depressiven Episode. Bei beiden ist auch die suizidale Einengung eine therapeutische Herausforderung.

derStandard.at: Wie wirkt sich eine Fehldiagnose auf Patienten aus?

Simhandl: Es kommt im Rahmen einer Fehldiagnose in dem Sinne, dass ein Burnout festgestellt wird vor, dass der Arbeitsplatz gewechselt wird und zwei Jahre später tritt dieselbe Situation des Ausgebranntseins auch auf dem neuen Arbeitsplatz wieder auf. Das hat dann eher mit der Person als mit dem Arbeitsplatz zu tun. So verlieren Menschen manchmal langjährige Arbeitsplätze und damit ihre soziale Absicherung.

derStandard.at: Was raten Sie Menschen, die glauben, von einem Burnout betroffen zu sein?

Simhandl: Ich rate dazu, den Hausarzt zu fragen mit welchem Psychiater und/oder Psychotherapeuten er zusammenarbeitet und gute Erfahrung in Diagnostik und Therapie gemacht hat. Es gibt in Wien das Institut für Burnout und Stressmanagement, aber eine Therapie bieten alle Psychotherapeuten an, die in Österreich diagnostizieren und therapieren dürfen. Es ist wichtig die Lebensführung und beruflichen Erwartungen genauer anzusehen.

derStandard.at: Wie ist ein Burnout behandelbar?

Simhandl: Am Beginn steht die Diagnostik, unter anderem auch mit der Abklärung, wie die betroffene Person selbst ihre Situation sieht. Ebenfalls abgeklärt werden muss, welche Erwartungshaltungen es gibt. Ich empfehle eine Psychotherapie, wenn die Probleme nur den Arbeitsplatz betreffen und der Schweregrad nicht zu weit fortgeschritten ist. Die Verschreibung von Medikamenten ist notwendig, wenn zusätzlich das Vollbild einer typisch depressiven Episode vorliegt.

derStandard.at: Wenn man tatsächlich an einem Burnout leidet, können Sie sagen, wie lange es etwa dauert, bis man wieder einsatzfähig ist?

Simhandl: Es gibt Empfehlungen von einem halben Jahr in der älteren Literatur. In der kombinierten Behandlung von wöchentlicher Psychotherapie und, falls sinnvoll, antidepressiver Medikation gehe ich von einem Zeitrahmen von sechs bis zwölf Wochen aus.

derStandard.at: Was empfehlen Sie Ihren Kollegen im Hinblick auf ein korrekte Diagnose?

Simhandl: Ich kann jedem empfehlen, die Erwartungshaltungen der Patienten die berufliche Situation betreffend genauer zu hinterfragen.

 


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